Nicht nur die Hamburger Gründerszene ist vielseitig und bietet unterschiedlichsten Gründungen ein Zuhause. Ebenso vielseitig ist auch das Netzwerk an Einrichtungen und Institutionen, die Existenzgründer_innen beraten und ihnen zur Seite stehen, um mit ihrer individuellen Idee an den Start zu gehen. Seit über zehn Jahren unterstützt die „Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten“, kurz ASM, Unternehmen und Existenzgründungen von Menschen mit Migrationshintergrund. Mehrsprachige Beratung und Qualifizierungsangebote sowie Unterstützung bei der Erstellung des Businessplans gehören zum Angebot des Vereins. Katarzyna Rogacka-Michels setzt sich seit Jahren mit Engagement und Leidenschaft für Existenzgründer_innen unterschiedlicher Nationalitäten ein. Um mehr über die besonderen Herausforderungen für das Gründen mit Migrationshintergrund zu erfahren, haben wir ihr drei Fragen gestellt.
Wie würden Sie Hamburgs Gründerszene beschreiben – vor allem mit Blick auf das Gründen mit Migrationshintergrund?
Hamburgs Gründerszene ist groß und vielschichtig. Ich kann nur von den Gründer_innen, ihren Ideen und Vorhaben sprechen, mit denen ich in meiner Beratung bei ASM im Projekt IQ Hamburg Servicestelle Migrantenökonomie in Berührung komme. In der Regel kommen zu uns Menschen, die für sich auf dem Arbeitsmarkt eine bessere Chance als Selbstständiger sehen als im Angestelltenverhältnis. Auch wenn sie dabei große Risiken auf sich nehmen müssen. Die Vielfalt der Geschäftsideen ist groß – von unterschiedlichen freiberuflichen Tätigkeiten über diverse Angebote in Gastronomie, Einzelhandel, Import/Export, im sozialen und zunehmend auch digitalen Bereich. Die Migrant_innen, die für sich eine Selbstständigkeit erwägen, haben einen unterschiedlichen Werdegang. Es wird aus unterschiedlichen Lebenslagen gegründet. Es sind Menschen, die bereits eine Anstellung haben und mit der Selbstständigkeit für sich bessere Chancen sehen. Wie auch Menschen, die gerade den Arbeitsplatz verloren haben oder aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraus gründen. Oder aber Studenten und Azubis, die schon für die Zukunft planen, weil sie Ideen haben für ein selbstbestimmtes Agieren auf dem Arbeitsmarkt. Einen nicht so geringen Teil machen ebenfalls Menschen aus, die weder arbeiten noch Leistungen beziehen. Und die sich in einer Lebensphase befinden, wo sie mit einem eigenen Unternehmen den Schritt auf den Arbeitsmarkt wagen. Insgesamt wurden bei uns im vergangenen Jahr 119 Personen beraten, die aus 47 Herkunftsländern stammen bzw. Migrationshintergrund haben. Zu den gründungsaktivsten Gruppen von Einwanderern, die bei uns in der Beratung waren, gehören Menschen aus Polen, dem Iran, Syrien, Afghanistan und der Türkei. Wenn man das zur Kenntnis nimmt, könnte man schon sagen, dass Hamburg für eine Vielfalt von Geschäftsvorhaben sowie für Menschen aus der ganzen Welt sehr attraktiv ist. Die Finanzierung des Geschäftsvorhabens stellt dabei allerdings oft eine Hürde dar.
Gibt es besondere Herausforderungen, denen sich Neuzugewanderte oder Gründende mit Migrationshintergrund gegenübersehen? Welche ersten Schritte können Gründer_innen (in Hamburg) gehen, um diese zu meistern?
Gründungsinteressierte mit einer Einwanderungsgeschichte oder Migrationshintergrund haben oft multiple Hürden zu bewältigen. Zu den größten Herausforderungen gehören der Aufenthaltstitel, die Finanzierung – hiermit hängen die weiteren Herausforderungen oft zusammen – kommunikative Fähigkeiten in der deutschen Sprache sowie Kenntnisse des Wirtschaftssystems und des Marktes.
Wenn der Aufenthaltstitel für eine begrenzte Zeit ausgestellt wurde und eine Selbstständigkeit erlaubt, können Gründende kein Darlehen mit einer längeren Laufzeit beantragen. Ähnlich verhält es sich mit den gewerblichen Mietverträgen, die oftmals 5 Jahre Laufzeit haben. Der Aufenthaltstitel muss mindestens für diese Zeit gültig sein.
Die Deutschkenntnisse können für die Kommunikation mit Kunden ausreichend gut sein, aber um die Formalitäten zu bewältigen, stehen viele Gründer_innen vor einer sehr großen Hürde, die sie allein, ohne fachliche und enge Unterstützung oftmals nicht bewältigen könnten.
Um all das zu meistern, braucht es eine gute migrationssensible Beratung, eine fachliche und professionelle Unterstützungsstruktur. Wenn erforderlich, eine erläuternde Beratung in der Muttersprache, um das Fachliche und Bürokratische zu verstehen. Hamburger öffentlich geförderte Beratungseinrichtungen haben zusammen einen Flyer erstellt, „Gemeinsam für Hamburg. Beratung und Förderung für Gründungen und Unternehmen von Menschen mit Migrationshintergrund“, der Gründungsinteressierten mit Einwanderungsgeschichte und auch Unternehmen mögliche Wege der Unterstützung aufzeigt. Gern verweise ich auch in unserer Beratung an Kooperationspartner wie die Kammern, die IFB oder die hei. – oder diese verweisen Menschen mit Einwanderungsgeschichte an uns.
Die Corona-Krise hat uns erneut sehr deutlich gezeigt, wie wichtig unsere migrationssensible Beratung und Unterstützungsarbeit ist. Herausfordernd sind für Gründerinnen und Gründer sowie Unternehmen die Hürden rund um das Verstehen von amtlichen Informationen oder das Beantragen von wirtschaftlichen Soforthilfen. Unsere Unterstützung in Form von (oftmals mehrsprachiger) Weitergabe von Informationen, zeitaufwändiger Beratung, Hilfe beim Zusammenstellen von Unterlagen wird bei Gründer_innen sowie Unternehmen stark nachgefragt.
Unabhängig von Herkunftsland oder Gründungsvorhaben: Welchen Tipp möchten Sie jedem auf dem Weg in die Selbstständigkeit mitgeben?
Alle Gründer_innen haben ein Ziel: sie wollen mit ihrem Geschäftsvorhaben erfolgreich sein. Es wird manchmal sehr auf die Idee geschaut und weniger auf die Kalkulation und die Zahlen. Aus der Erfahrung würde ich daher jedem und jeder empfehlen, sich Hilfe zu nehmen und einen gründlichen Businessplan zu erstellen. Hier kann die Geschäftsidee in Zahlen aufgehen und unter dem Strich kann man seinen Lebensunterhalt finanzieren. Die visionäre, rosa Brille darf hier kurz zur Seite gelegt werden. Und es wird sich auf die Welt der Zahlen eingelassen, die so oder so das Unternehmertum wesentlich bestimmen.
Vielen Dank, Katarzyna Rogacka-Michels!