„Die haben ihren eigenen Kopf”, sagt Andreas Kirsch und lacht, als der Esel prompt den Kopf wegdreht. Vier Stunden war er mit einer kleinen Gruppe und seinen zwei Trekkingeseln im Osten von Hamburg unterwegs. Jeder darf führen, aber die Gangart bestimmen (meist) die Vierbeiner. „Der Weg ist das Ziel“, erklärt der Existenzgründer und umreißt kurz und knapp, was gestressten Großstädtern häufig fehlt: „Natur, Entschleunigung und Gemeinschaft“. Er weiß, wovon er spricht. Als Manager bei Blohm + Voss war er jahrelang in der Welt unterwegs, bevor sich Ende 2015 der Weg für den beruflichen Neuanfang auftat. „Wann, wenn nicht jetzt?“, fragte sich der heute 58jährige und erfüllte sich einen lange gehegten Traum: Die Eselei.
Eselwanderungen: Die Zügel fest in der Hand – und trotzdem an der langen Leine
Statt um große Pötte kümmert sich der gelernte Schiffbauer und Schiffbauingenieur nun um Paula und Pinu’u, die auf der Weide neben dem Wohnhaus ihrer Knabberlust nachgehen. Einen halben oder ganzen Tag kann man bei den geführten Wanderungen mit den Langohren verbringen, die Dalbekschlucht durchkreuzen, das Hohe Elbufer erkunden, die Boberger Dünen erobern oder dem Lauf der Bille folgen. Wie von selbst lernt man dabei die Besonderheiten der Tiere kennen und darf sich von ihrer Gemütlichkeit anstecken lassen. „Wir planen jede Tour individuell nach den Wünschen der Gäste“, so Kirsch. „Auch Firmenfeiern und Kindergeburtstage haben wir schon organisiert“. Seine Frau Karin ist gerne dabei. Für den Vielgereisten nach 33 Ehejahren ein Glücksfall: „Wir teilen die Liebe zu unseren Tieren und verbringen gemeinsam Zeit in der Natur. Ich genieße die Unabhängigkeit, die ich mir gewünscht habe.“
Von der Urlaubsphantasie zum Business-Plan
Dabei war die „Eselei“ zunächst nur eine Träumerei. „Hier könnten wir uns zur Ruhe setzen, aber nur mit Packesel“, scherzte das Paar beim Wanderurlaub in den Alpen. Nur – wann? Der gebürtige Hamburger hatte immer mit einem vorgezogenen und aktiven Ruhestand geliebäugelt und so nahm die Idee, die Rentenlücke mit dem Eselprojekt zu schließen, Form an. Als dann der Ölpreis fiel und Blohm + Voss Oil Tools über eine Transfergesellschaft den Umstieg auf die Selbstständigkeit finanziell attraktiver machte, standen mit einem Schlag alle Zeichen auf Neuanfang: „Ich wechselte auf hundert Prozent Kurzarbeit und nutzte die Möglichkeiten für eine neue Qualifizierung. Es war eine echte Win-Win-Situation.“
Hamburger Unikat mit eigenem Kopf
Der Entschluss war gefasst – nun gab es jede Menge zu tun. Eine aufwendige Marktanalyse war glücklicherweise überflüssig: In und um Hamburg gab es schlicht keine Eselwanderungen. Andreas Kirsch absolvierte drei Eselseminare, erbrachte den notwendigen Sachkundenachweis für die Eselhaltung und ging auf die Suche nach geeigneten Tieren. Im Stuttgarter Raum wurde er fündig und die zwei bereits gut ausgebildeten Grautiere Paula und Pinu’u fühlen sich in Bergedorf mittlerweile pudelwohl. „Sie haben zwar ihren eigenen Willen und Charakter, aber an feste Spielregeln halten sie sich schon“, so Kirsch.
Wertvolle Kontakte und Seminare über die hei.
Dass die Spielregeln für den Selbstständigen andere sind als auf der Werft, war Kirsch sofort klar. Über die Plattform existenzgruender.de holte er erste Informationen ein und wurde auf das Coachingprogramm der hei. aufmerksam. Gezielt setzte er die Wertschecks aus dem hei.scheckheft ein: Marketing und PR, digitale Medien und Rechtsfragen waren Bereiche, in denen die „Eselei“ noch Nachholbedarf hatte.
Im Gründerumfeld knüpfte Kirsch schnell wertvolle Kontakte. So lernte er beim hei.gründerfrühstück prompt eine Designerin kennen, die vom Firmenschild über den Flyer bis zum Gutschein den öffentlichen Auftritt übernahm und traf außerdem auf einen PR-Berater, der für ihn die Pressemitteilungen verfasste. Mit Erfolg: Tageszeitungen und Fernsehen wurden auf die „Eselei“ aufmerksam und die Nachfrage stieg enorm.
Behutsam Fahrt aufnehmen
Von den Hufträgern hat der Inhaber zwar eine ruhige, gemütvolle Gangart gelernt, zugleich entwickelt er die Eselei Stück für Stück weiter. Im großen Garten, wo alle Touren enden, soll ein Unterstand mit Sitzgelegenheit für die Gäste entstehen. Auf der Wiese hinter dem Haus ist eine zweite Paddock-Fläche geplant, um ausreichend Platz für ein weiteres Eselpaar zu haben. Und auch eine Zusammenarbeit mit der „Stullenmacherei“ kann sich Andreas Kirsch gut vorstellen, um leckeren Proviant für seine ausgedehnten Touren anbieten zu können.
Die Webseite, die derzeit überarbeitet wird, soll künftig als zentrales Vermarktungsinstrument genutzt werden. Und natürlich wird die „Eselei“ auch im nächsten Jahr wieder auf der Hamburger Reisemesse am Stand des Tourismusverbands Bergedorf vertreten sein.
Gründen kennt kein Alter
Zufrieden streicht Kirsch dem frisch gestriegelten Wallach über den dunkelgrauen Rücken. Seinem Plan, auch mit 75 Jahren noch mit seinen Trekkingeseln unterwegs zu sein, scheint kaum etwas im Wege zu stehen. „Es ist nie zu spät, neu zu beginnen“, so der sympathische Gründer. „Gut und gründlich vorbereitet“, fügt er lächelnd hinzu, „lässt sich schließlich sogar eine Eselei in die Welt setzen“.